Immer auf dem Sattel

«Was nicht zwei Räder hat, ist dir egal», sagte einst Mama Elda zu Klein-Nicola. Tatsächlich sind die zwei Räder für den gebürtigen Berner Antrieb, Lust und Leidenschaft. Sie begleiten ihn von den ersten freiheitlichen Quartierrunden auf dem BMX bis zur Entwicklung des ersten Toolbikes, welches das Beste von Stadtvelo, E-Bike und Lastenrad verbindet. Über das ganze Dazwischen haben wir mit Nicola, Erfinder von MONoPOLE, gesprochen.

Wir reisen mit Nicola zurück in die 1980er Jahre, nach Muri bei Bern, wo er aufgewachsen ist. Sein 7. Geburtstag wird sein Leben nachhaltig verändern: Er bekommt ein BMX geschenkt. Ab diesem Tag ist nichts mehr wie zuvor. Nicola liebt dieses Velo, ist kaum noch vom Sattel zu bekommen. Er erlebt eine Unabhängigkeit und eine berauschende Freiheit, die er so noch nicht kennengelernt hat.

«Das Schönste daran war das Fahrgefühl, dieser Flow, die Geschwindigkeit, das Spiel mit diesem Gerät. Das war grossartig!», erinnert er sich. Und davon will er mehr. Über die kommenden Jahre sammelt Nicola verschiedenste Velos – und die dazugehörigen Verletzungen, was seinen Vater, einen Chirurgen, nicht wirklich      begeistert. Doch Nicola ist nicht zu bremsen. Er probiert unterschiedliche Fahrstile aus, eignet sich neue Tricks und Fahrfähigkeiten an.

Die Achtziger werden zu den Neunzigern, das BMX wird abgelöst vom Mountainbike. Damals ist Mountainbiken noch ein Nischensport in der Schweiz, Nicola gehört schnell zu den Besten. Er nimmt an Wettkämpfen teil, pusht sich selbst immer höher und lernt in dieser Community Menschen kennen, die nicht nur seine Leidenschaft teilen, sondern bis heute wichtige Wegbegleiter:innen sind – und nicht zuletzt auch Teil der MONoPOLE-Familie.

«Dieser Flow, die Geschwindigkeit, das Spiel mit diesem Gerät. Das war grossartig!» Nicola, Erfinder des Toolbikes

Der charismatische Bruno im fettigen Kittel

Neben den zwei Rädern begleitet Nicola eine weitere Leidenschaft, das Arbeiten mit den Händen. In Muri gibt es damals den Veloladen von Bruno, einem charismatischen italienischen Mechaniker. Bruno tüftelt, kurbelt, schraubt und hebelt an Töffen und Velos; Nicola begeistert es, ihm dabei zuzuschauen, und Brunos Garage wird zum festen Stop auf Nicolas Velo-Runden:

«Ich war total fasziniert von Bruno und sehe ihn heute noch vor mir in seinem blauen Overall voller Fettflecken. Der hatte so eine beeindruckende Präsenz, eine starke Energie.» Ihn beeindruckt, was der Profi mit seinen Händen schafft und wie offen und freundlich er mit seinen Kund:innen umgeht.

Selbst bringt Nicola aber nie ein Velo bei Bruno vorbei – schliesslich will er ja irgendwie selbst Bruno sein. Also tüftelt er stundenlang an seinen Zweirädern herum. «Weil ich mit meiner Velo-Clique das ganze Jahr hindurch, tags und nachts durch die Wälder fuhr, mussten wir grade mit der Beleuchtung kreativ werden», erzählt Nicola, «damals gab’s nicht wirklich ein grosses Angebot an starken Velolichtern. Und die wenigen, die es gab, waren zu teuer. Also mussten wir sie selber bauen.»

Mit einem Trick zum Traumjob

Das freie Fahrgefühl, die Arbeit mit den eigenen Händen, der Erfindergeist – diese Leidenschaften, die längst Teil von Nicolas Identität geworden waren, will er im Leben mitnehmen – aber wie? Nicola entscheidet sich für ein Architekturstudium, in der Hoffnung, hier seine Innovationskraft für Gebautes weiter zu entwickeln. Gleichzeitig bewirbt er sich mehrmals als Velokurier. Nichts scheint ihm attraktiver, als neben dem Studium seine Brötchen mit Velofahren zu verdienen. Aber seine Bewerbungen laufen ins Leere, Nicola ist frustriert. Und er setzt alles auf eine Karte: 1999 trickst er sich, verkleidet als Kurier, in die Velokurier-Weltmeisterschaft in Zürich – und gewinnt. Velokurier Bern bleibt nichts anderes übrig, als Nicola endlich seinen lang ersehnten Job zu geben.

Zeitgleich zerschlägt sich die Hoffnung, die er in sein Studium gesteckt hat. Die Architektur ist ihm zu theoretisch, zu wenig flexibel; es fehlt ihm, die Resultate seiner Arbeit zu sehen, sie anzufassen. Dennoch zieht er durch bis zum Diplom. Aber nach einem halben Jahr als diplomierter Architekt verabschiedet er sich von diesem Beruf und arbeitet als freier Produktdesigner.

Es ist eine Zeit absoluter Freiheit. Auf der einen Seite lebt Nicola in 10-Stunden-Kurier-Schichten seinen Bewegungsdrang und seine Fahrlust aus. Auf der anderen setzt er eigens konzipierte und designte Ideen in Objekte um, die er sehen, spüren, anfassen kann. Eigentlich genau das, was er will. Aber die Freiheit hat ihren Preis: die Bezahlung beim Velokurier ist schlecht, gefahren wird bei jedem Wetter und Strassenzustand. Nach sieben Jahren dreht er dem Berner Velokurier den Rücken und verabschiedet sich in eine nächste Phase seines Lebens – und bleibt dem Thema dennoch treu.

2013 bekommt Nicola eine einmalige Chance: Die Schweizer Erfolgs-Taschenmarke FREITAG offeriert ihm, die Velokurier-Produktlinie zu verantworten. Jackpot! Hier bringt er sein Wissen und seine Erfahrungen ein und lernt gleichzeitig vieles dazu. Er versteht immer mehr die Verbindung zwischen Produkt und Nutzer:innen. Kurze Zeit später übernimmt Nicola die Leitung Produktentwicklung bei FREITAG. In seinem Kopf formiert sich dabei immer stärker die Idee, nicht bei den Kurier-Produkten stehen zu bleiben, sondern das ultimative Velo zu den Taschen zu entwickeln.

Nicht nur schön, sondern wegweisend

«Velos sind Objekte, mit denen sich die Menschen identifizieren können. Man darf stolz sein auf sein Velo», ist Nicola überzeugt. «Aber es gibt wenige Stadtvelos, die diese starke Identifikation und Verbindung möglich machen. Da möchte ich aber hin. Ich möchte die Perspektive ändern, wie Leute auf ihr Velo blicken.» Mit dieser Grundhaltung entsteht MONoPOLE. Man soll also nicht nur stolz sein auf sein tolles Velo, sondern auch darauf, dass man damit zu einer lebenswerteren Stadt, und letztlich vielleicht sogar Welt, beiträgt. Täglich erlebt Nicola im Zürcher Strassenverkehr, was es bedeuten könnte, wenn sich die urbane Mobilität stärker auf Auto-Alternativen verlagern würde. Nicola möchte nicht nur etwas Schönes bauen, sondern auch etwas verändern.

Und wie immer: Wenn er erst einmal angefixt ist, hängt er sich richtig rein. Das neue Toolbike soll ein Bike sein für den täglichen Gebrauch. Eins, das jeder Fahrerin und jedem Fahrer das Freiheitsgefühl vermittelt, das er selbst damals auf seinem ersten BMX gefühlt hatte. «Mich fasziniert der immersive Prozess des Velofahrens: Der Körper berührt das Fahrrad an fünf verschiedenen Stellen – mit beiden Händen, beiden Füssen und dem Füdli. Es wird quasi ein Teil von einem selbst. Ich wünsche mir, dass die Fahrer:innen von MONoPOLE diese Symbiose aktiv empfinden.»

Seit 2018 investiert Nicola unzählige Stunden in seiner Freizeit für die Entwicklung des perfekten urbanen, wendigen, leichten Multiuse-Toolbikes. Als seine privaten Mittel fast aufgebraucht sind, kommt FREITAG noch einmal als rettender Anker und nimmt das Projekt in seinen Innovations-Inkubator auf. Gemeinsam mit Daniel Freitag gründet Nicola 2021 die Toolbike AG. Wenn es keine zwei Räder hat, ist es ihm egal? Nicht ganz. Aber wenn es zwei Räder hat, hat es das Potenzial, ein bisschen die Welt zu verändern.